7.6.2021 Tag 92 Tiefe Einblicke in den Nationalpark Bayerischer Wald

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Schon um 5 bin ich wieder unterwegs. Am Rachelsee hat sich einer der insgesamt lediglich 100 ha umfassenden Urwaldreste im Nationalpark erhalten. Schön spiegelt sich der Wald im ruhigen Wasser des Sees. Bald gelange ich wieder in die Bereiche, wo der Fichtenwald großflächig abgestorben war. Die grasigen Lücken zwischen den aufgekommenen jungen Fichten fallen auf, das ist aber normal, denn der Bergfichtenwald ist natürlicherweise ziemlich licht. Die Sonne scheint bald wieder intensiv. Unterm Gipfel des 1453 Meter hohen Rachel habe ich eine Funkverbindung und kann den Blogpost von gestern absetzen. Im Tal hängen noch puffige Wolken, schön!

Am Waldschmidthaus unterhalb des Rachel erscheint ein Hermelin und kommt neugierig auf mich zu, leider reicht die Zeit nicht für ein Foto. Der Steig Richtung Hochschachten ist felsig und ich komme nur langsam voran, daher beschließe ich irgendwann zur Trinkwassertalsperre Frauenau abzusteigen, um meinen Termin einhalten zu können. So habe ich dann noch genügend Zeit für emails und ein Telefoninterview mit dem Hogn, einem regionalen Internetmagazin. 

Um 14 Uhr treffe ich mich dann mit Prof. Dr. Jörg Müller, dem Chef der Forschungsabteilung und stellvertretendem Leiter des Nationalparks, mit dem ich einen kleinen Waldspaziergang unternehme, bei dem ich zahlreiche Fragen stelle. Auf 75 % des etwa 24.000 ha großen Nationalparks kann sich heute die Wildnis wieder frei entwickeln. In dieser Größenordnung der Fläche, wird auch nicht mehr gejagt. Allerdings wird das Rotwild in vier 30-50 ha große Wintergatter gelockt und dort während der kalten Jahreszeit gefüttert. Etwa die Hälfte der Population überwintert außerhalb der Zäune  und kommt damit offenbar gut klar. Natürlich würde die Nationalparkverwaltung gerne auf dieses naturwidrige Prozedere verzichten, was aber auf Grund der Interessen von Forst- und Jagdlobby zur Zeit nicht möglich erscheint. Auf immerhin 6000 ha wird auch das von mir gestern erläuterte Borkenkäfermanagement noch betrieben. Allerdings gibt es Hoffnung, das auf Grund von neuen Gerichtsurteilen bezügich von Natura 2000 Gebieten, diese Praxis in Zukunft im Einzelfall geprüft werden muss, ob nicht zu schützende Arten dadurch Probleme erleiden könnten. 

Jörg Müller drückt aus, dass der Nationalpark wohl Deutschlands wildestes Gebiet ist, durch seine Größe, die weitgehend noch erhaltene Artenzusammensetzung und auf Grund der Tatsache, dass der tschechische Šumava Nationalpark angrenzt. Ausserdem sind Luchs und Wolf wieder zurück, nur der Bär fehlt noch als großer Beutegreifer, den sich Müller hier gut vorstellen könnte, allerdings gibt es leider keinen politischen Willen zur Wiedereinbürgerung. Luchse wurden lange Zeit gewildert, aber aufgrund intensiver Ermittlungen, ist das wohl heute kaum noch der Fall.

Dagegen hat der große Landschaftsgestalter Biber den Park aus eigener Kraft wieder besiedelt. Ein größeres Ereignis war für den Totholzkäferspezialisten Jörg Müller aber seine Wiederentdeckung des als ausgestorben gegoltenen Flachkäfers Peltis Grossa. 

Der Klimawandel ist auch im Nationalpark angekommen, eine größere Anzahl an Insektenarten kommt durch die Erwärmung in bis zu 300 Meter höher liegenden Bereichen vor. Die Pflanzen haben diese Entwicklung aber noch nicht mitgemacht. 

Professor Müller bestätigt übrigens meine Beobachtung nicht, dass der Buchenanteil zugenommen hätte. Er sagt, dass in den meisten Fällen, wo Fichten standen, in der Verjüngung auch wieder Fichten dominieren, selbst in den tieferen Bereichen. Es gäbe hier auch nicht weniger Tannen als woanders im Bayerischen Wald. 

Wolf und Luchs zeigen offenbar keine Auswirkungen auf die Wildtierpopulationen, umgekehrt konzentrieren sich die Wölfe hier, weil es viel Rotwild gibt. Auf der benachbarten tschechischen Seite gibt es sogar eine kleine Elchpopulation, die auf natürliche Weise durch Zuwanderung entstanden ist, aber offenbar nicht wächst, so dass eine Ausbreitung in den Bayerischen Wald eher unwahrscheinlich erscheint. Die Populationen von Hasel- und Auerhühnern sind stabil, Jörg Müller bemerkt, dass das Auerwild störungsempfindlich ist, und daher Wegsperrungen durchaus sinnvoll sind. 

Zwar ist das Motto hier „Natur Natur sein lassen“, dennoch werden so unkonventionelle Maßnahmen umgesetzt, wie starkes Tannenholz von außerhalb zuzukaufen und als Totholz im Nationalpark auszulegen. Da es hieran im Nationalpark mangelt, hält Müller diese Maßnahme für notwendig um das Aussterben von an Tannentotholz lebenden Arten zu verhindern. Außerdem wird Wild auch geschossen und gezielt als Aas ausgelegt, um die darauf spezialisierte Fauna zu fördern. Dadurch hält Müller die Wiederansiedlung beispielsweise von Gänsegeiern durchaus für möglich. 

Insgesamt bestätigt Prof. Müller, dass sich der Wald im Nationalpark sehr vielfältig entwickelt. Zwar spielen auch größere Störungen wie Sommerstürme in mitteleuropäischen buchendominierten Ökosystemen eine Rolle, aber überwiegend ergibt sich ein kleinflächiges Sukzessionsmosaik, was den Ansprüchen verschiedener Arten entgegen kommt. Trotz des generell schattigen Charakters dieser Wälder ist besonntes Totholz von großer Bedeutung für viele Arten. Nach den Forschungen hier ist es für die Wiederbewaldung unerheblich ob das Totholz belassen wird, allerdings fördert das viele Tierarten. Ausserdem hemmt das Liegenlassen von Totholz erwiesenermaßen den Wildverbiss. 

Nach zwei Stunden intensiver Unterhaltung mit dem teilweise ziemlich unkonventionell denkendem Jörg Müller, setze ich meinen Weg Richtung Spiegelau fort. Hier an der Parkgrenze gibt es Borkenkäferflächen in die Eiben in Kleingattern gepflanzt wurden. Schließlich schlage ich mein Lager in einem tollen Mischwald mit Fichten, Buchen und Ahornen auf. Das Wetter ist schön, aber ich schlage zur Sicherheit mein Tarp auf. 


Blick zum Rachel


Urwaldrest


Rachelsee



Blick zum Rachel


 Rachelsee




Rachelgipfel


Mitunter überleben einige Fichten die Borkenkäferangriffe



Grasfrosch


Die Buche bleibt im toten Fichtenwald


Das Werk der Borkenkäfer


Mächtige Esche


Mit Jörg Müller unterwegs


Hier hat ein Weißrückenspecht nach Nahrung gesucht


Eibenpflanzung







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