16.9.2021 Tag 184 Naturgemäße Waldwirtschaft im Forstbetrieb Kalebsberg

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In der Dämmerung werde ich von den am Seeufer einfallenden, rufenden Kranichen geweckt. Durch weites Offenland laufe ich nach Schorssow, und gelange hinter dem Gut Carlshof in den Wald. Eigentlich wollte ich mich hier mit Holger Weinauge treffen, der jedoch den Termin gestern überraschend abgesagt hat, da er zur Zeit sehr viel damit beschäftigt ist, dass die ANW Mecklenburg-Vorpommern ein Zertifikat zur naturgemäßen Waldbewirtschaftung entwickelt hat. Ich hatte ja hier schon öfter über die großen Waldzertifikate PEFC und FSC geschrieben, die beide ihre Schwächen haben, vor allem allerdings PEFC. So ist zu hoffen, dass in diesem neuen Zertifikat wirklich alle Kriterien einer umfasssend nachhaltigen, naturnahen Waldbewirtschaftung abgebildet werden. Das wäre beispielsweise wichtig, damit naturnah arbeitende Betriebe, die die anderen Zertifizierungsverfahren ablehnen, trotzdem an ein Zertifikat zur Waldbewirtschaftung gebundene Förderungen erhalten können. 

Holger Weinauge hat mir zwar nicht genau beschrieben, wo sein Wald ist, aber anhand unseres geplanten Treffpunkts kann ich mir schon gut vorstellen, wo er sein könnte, und erlebe dann auch einen Wald, der für sich spricht. Überall gibt es natürliche Verjüngung aller Alters- und Größenstufen. Dabei ist stets ein Schirm vorhanden, sicher nicht in der Dichte eines Naturwalds, aber doch offenbar ausreichend, um ein förderliches Waldinnenklima zu erhalten. Dies wird auch dadurch unterstützt, dass es kaum Rückegassen gibt, die den Wald zerteilen und wie Windkanäle wirken können. Neben der allgegenwärtigen Buche gibt es auch viele, zum Teil wertvolle Eichen und in der Verjüngung sehr viel Ahorn. Daneben sind natürlich auch viele andere Baumarten vertreten. Es gibt auch Nadelbaumbestände, unter denen sich aber auch fast überall Naturverjüngung von Buchen findet. Kalebsberg, so heißt der Forstbetrieb, ist ein tolles Beispiel dafür, dass man durch eine ständige, maßvolle Einzelbaumentnahme, bei der es nicht nur um den Holzverkauf, sondern auch die Wirkung für den Bestand geht, relativ schnell einen eindrucksvollen, gemischten und gestuften Wald aufbauen kann. Der Naturschutz scheint auch Beachtung zu finden, denn etliche dicke, alte Bäume wären aus rein wirtschaftlichen Gründen schon lange gefällt worden. 

Zwar überwiegt die Naturverjüngung aus einheimischen Baumarten, aber wo immer sich eine Möglichkeit ergibt, werden auch Baumarten aus Südosteuropa, wie verschiedene Tannenarten oder Orientbuchen gepflanzt. Dadurch will Holger Weinauge seinen Wald besser an zukünftige Klimaentwicklungen anpassen. Vier Argumente sprechen aus meiner Sicht potenziell gegen ein solches Vorgehen: Man weiß natürlich nicht, ob die Einschätzungen der Eignung und Toleranz dieser Baumarten wirklich zutreffen. Da diese aber immer nur kleinflächig in geringen Stückzahlen und in Mischung mit heimischen Baumarten eingebracht werden, kann man dieses Argument hier aber wohl vernachlässigen. Weiterhin haben neue, in nur geringer Zahl gepflanzte Baumarten natürlich ein viel geringeres genetisches Potenzial als heimische Baumarten die natürlich verjüngt werden. Das kann langfristig zu Problemen führen, ist aber auch wohl vernachlässigbar. Tatsächlich ernster zu nehmen sind die beiden letzten Argumente in Kombination. Unserer heimischen Baumarten, sowohl die Buchen, als auch die Eichen haben gerade in der Verjüngung die unter den neuen Bedingungen aufwächst, so viel genetisches Anpassungspotenzial, das solche Experimente wahrscheinlich gar nicht notwendig sind. Im Gegenteil, bei neu eingebrachten Arten besteht immer die Möglichkeit, dass sie invasiv werden und einheimische Arten möglicherweise irgendwann verdrängen. Zudem kann man zwar einzelne bisher nicht heimische Baumarten pflanzen, aber das ganze dazu gehörende Ökosystem inklusive Mykhoriza Pilze und Zersetzerfauna kann man nicht importieren. Gerade in einem ansonsten vorbildlich naturnah bewirtschaftetem Wald passen solche Einbürgerungen von neuen Baumarten meiner Meinung nach einfach nicht. 

Bei Tessenow gelange ich aus dem Wald und bin erstaunt in dem Weiler ein Plakat mit einem Aufruf zum Klimastreik am 24.9 zu sehen. Aber ich finde das gut, denn ich bin gerade nach meinem Erlebnis am Dienstag fest davon überzeugt, dass die Politik nur dann effektive Klimaschutzmaßnahmen einleiten wird, wenn der Druck aus der Öffentlichkeit zunimmt. Die Schülerstreiks von „Fridays for Future“ waren ein guter Anfang, jetzt ist es aber an der Zeit, dass sich auch die erwachsene Bevölkerung dieser Bewegung anschließt und mit Streiks für die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen kämpft. Geschieht das nicht, werden alle Politiker immer weiter denken, dass den Leuten der vermeintliche Wohlstand über alles geht. Aber ich bin davon überzeugt, dass es genügend Menschen gibt, die auch eine lebenswerte Zukunft für ihre Kinder und Enkel wollen, und bereit sind, dafür notwendige Einschnitte zu akzeptieren. 

In den Alleen sind schon die ersten Kastanien gefallen. Auf Radwegen und Nebenstraßen geht es weiter durch die einsame, hügelige Landschaft. 

Nördlich von Bristow gelange ich wieder in den Wald und muss feststellen, dass auch in Mecklenburg- Vorpommern großflächige Buchenschirmschläge praktiziert werden. Wie immer sehen die stehen gebliebenen Bäume Dürre geschädigt sehr traurig aus. Immerhin hat der zuständige Minister auf Initiative der Gewerkschaft Bund deutscher Forstleute, (BDF), gerade erst verkündet, dass es im Landeswald in Zukunft so etwas nicht mehr geben soll. Ich bin gespannt…

Nach dem Waldgebiet geht es auf Nebenstraßen weiter nach Groß-Markow. Es regnet ein wenig und es kommt so schnell kein Wald mehr, daher schlage ich schon recht früh mein Lager auf einer Köhlerplatte im hügeligen Buchenwald auf. 

Frühmorgens fallen die Kraniche am Seeufer ein
Weite Weiden
Grasige Hügel
Forstbetrieb Kalebsberg
Auch in den Nadelbaumbeständen gibt es fast überall Naturverjüngung von Laubbäumen
Alte, dicke Bäume
Kleinflächige Pflanzung von nicht heimischen Tannenarten
Stufig gemischter Wald
Auch in die Laubbaumverjüngung werden Tannen gepflanzt
Wenig Rückegassen
Auch hier gibt es Bäume mit Kronenschäden
Nicht heimische Laubbaumarten werden in Wuchshüllen gepflanzt
Esskastanien
Ein bunt gemischter Wald
Esskastanien
Dicke, faule Fichte
Ein Naturschutzgebiet mit altem Laubwald grenzt an
Kopfweiden sind wichtige Lebensräume, müssen aber regelmäßig geschnitten werden
Es wurden auch Douglasie und Thuja gepflanzt
Mitmachen!
Die Kastanien fallen
Kurz erscheint die Sonne
Vogelbeerallee
Schirmschläge sind ökologische und wirtschaftliche Katastrophen!
Geschädigte Kronen
Kahl geschlagen, abgeschoben, gespritzt…
Grünabfall gehört nicht in den Wald!

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2 Gedanken zu „16.9.2021 Tag 184 Naturgemäße Waldwirtschaft im Forstbetrieb Kalebsberg

  • 16. September 2021 um 22:15
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    Lieber Kollege,
    Ihre Tagesnotizen sind “ein Wert an sich”, den Sie durch die Fotos eindrucksvoll hinterlegen. Man liest, sieht und versteht, was Sie ausdrücken wollen.
    Beziehen Sie bitte Ihre Erfahrung von Dienstag keinesfalls auf sich: Sie haben im tatsächlich Wesentlichen gefragt! Auf dieser Ebene antworten kann nur, wem dieses Wesentliche zugänglich ist.

    Antwort
  • 17. September 2021 um 20:49
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    Vielen Dank für die treffende Analyse!

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