13.10.2021 Tag 210 Schöne neue Welt im Süsing

Teile mit anderen:

Am Morgen ist es sehr nass und kalt, so dass ich lange mit Daunenjacke und Handschuhen laufe. Hinter Soderstorf schaue ich mir ein steinzeitliches Gräberfeld an, was über 6000 Jahre alt ist. Bald danach gelange ich wieder an die Luhe, die ich ja schon vor einigen Tagen kennen gelernt hatte. Auch hier ist sie ein munteres Paddelflüsschen. Als ich durch Amelinghausen laufe, spricht mich Kirsten an, die mich gestern in „Hallo Niedersachsen“ gesehen hatte. Wir unterhalten uns einige Zeit und sie erzählt, dass ihre Kinder sie dazu ermuntert haben, weniger Auto zu fahren und Fleisch zu essen, aus Gründen des Klimaschutzes. 

Auch der Timpenberg, ist wie die ganze Gegend überwiegend von Nadelbäumen geprägt. Nach kurzer Zeit in offener Landschaft gelange ich dann in das große Waldgebiet des Süsing, das wahrscheinlich von den Landesforsten bewirtschaftet wird. Sofort habe ich den Eindruck, dass hier intensiv gewirtschaftet wird. Ein Rückezug fährt Holz aus dem Bestand und in einem aufgelichteten Kiefernwald mit einigen Fichten fällt mir auf, dass hier gerade erst die Spätblühenden Traubenkirschen im Unterstand abgeschnitten wurden. Das ist sicher mit guter Absicht geschehen, bringt aber nichts, da die Traubenkirschen mehrstämmig wieder ausschlagen und schlimmer wuchern als zuvor. 

Lediglich das Behandeln der Stümpfe mit Gift kann das verhindern, ich hoffe jedoch, dass das hier nicht gemacht wurde…

Die Erschließung des Waldes mit Rückegassen im zwanzig Meter Abstand und die starke Auflichtung in den Zwischenfeldern bringt soviel Licht an den Boden, dass es kein Wunder ist, wenn lichtliebende Pflanzen wie Brombeere und Traubenkirsche im Vormarsch sind…

Das beste Rezept hiergegen, ist die Bestände dicht zu halten und im Schutz der Traubenkirschen irgendwann Eichen und Buchen zu pflanzen, wie ich das in Reiersdorf gesehen hatte. 

Es gibt hier Hordengatter, in denen auf den ersten Blick nur Kiefern und Birken wachsen. Später sehe ich dann aber eines in das Große Küstentannen und Hemlocktannen aus Nordamerika gepflanzt wurden. Ein Stück weiter gelange ich an einen alten Fichtenbestand, der sehr stark aufgelichtet wurde. Hier haben sich vor allem die Kiefern verjüngt, es wurden aber wiederum auch Küstentannen sowie Buchen gepflanzt. Richtig krass wird es, als ich an einen großen, alten, dichten Kiefern- Fichtenbestand gelange, der gerade von einem Harvester bearbeitet wird. Hier wird mindestens die Hälfte der Holzmasse in einem Zug entnommen! Ein extrem starker Eingriff, der es sehr fraglich erscheinen lässt, ob der Bestand den nächsten Sturm übersteht….

Sehr viele Kiefernbestände hier sind stark aufgelichtet und Douglasien drunter gepflanzt. Eine ältere Buchenpflanzung unter Fichte wirkt dagegen als altmodische Ausnahme aus einer anderen Zeit. 

Insgesamt ergibt sich das Bild von einem Turbo Waldbau, der sehr stark auf nordamerikanische Baumarten setzt.

Was ist hier los?

Wahrscheinlich denkt man, dass die alten Fichtenbestände die nächste Kalamität sowieso nicht überstehen werden, daher erntet man sie jetzt, wo die Marktpreise wieder gut sind. Darüber hinaus, hält man die Fichte sowieso für keine Baumart mit Zukunft und die Kiefer für zu schwachwüchsig. Die nordamerikanischen Baumarten sind viel zuwachsstärker und bisher vermeintlich auch resistenter gegen Stürme und Insekten. 

Vermutlich denkt man, dass das Ganze auch noch aktiver Klimaschutz ist, da man mit dem schnell wachsenden Holz teilweise klimaschädlichere Materialien wie Beton und Stahl ersetzen kann. 

Warum ist das Ganze trotzdem keine gute Entwicklung und sollte auf keinen Fall fortgesetzt werden?

In einer Zeit wo borkenkäferbedingt riesige Freiflächen entstehen, ein so hohes Risiko einzugehen, dass weitere Kahlflächen entstehen, ist unverantwortlich. Ausserdem ist natürlich zu befürchten, dass die Preise bald wieder zusammen brechen, wenn viele Betriebe so reagieren, was sich schon jetzt abzeichnet. Mit klugem, nachhaltigem Wirtschaften hat das nichts zu tun, sondern provoziert große Vermögensverluste. 

Zwar wird offiziell stets betont dass man „fremdländische Baumarten“ nur in geringem Umfang anbaut, aber dieser geringe Umfang wird hier bei weitem überschritten. Gerade im Zusammenhang mit potenziell invasiven Baumarten wie Hemlock- und Küstentanne aber auch der Douglasie auf den Kiefernstandorten ist für die Zukunft eine totale Veränderung der einheimischen Waldlebensgemeinschaften zu befürchten. Es gibt überall auf der Welt genügend Beispiele von invasiven Pflanzen, die Ökosysteme dramatisch verändert haben. Wollen wir wirklich solche Experimente ungeheuren Ausmaßes? Und was Dürreresistenz und Widerstandskraft gegen Schädlinge angeht, alle drei Baumarten kommen von der feuchten amerikanischen Westküste, ob das wirklich eine gute Voraussetzung für Angepasstheit an ein sich änderndes Klima hier ist, wage ich zu bezweifeln. In Rheinland- Pfalz, dem Bundesland mit dem höchsten Douglasienanteil hatte ich ja gehört, dass man heute nicht mehr auf diese Baumart setzen würde. Und einen vertrockneten Küstentannenbestand hatte ich im Saarland gesehen…

Für noch viel wichtiger halte ich aber die Auswirkungen von Nadelbaumbeständen auf den Landschaftswasserhaushalt. Nicht umsonst bestehen Trinkwasserwälder überwiegend aus Laubbäumen und im Biosphärenreservat Schorfheide- Chorin hatte ich ja gehört, das bei einem Beibehalten der Nadelholzwirtschaft die meisten Feuchtgebiete dort austrocknen würden. 

Im Zusammenhang mit dem Klima, wird der Kühlungseffekt von Wäldern für die umliegende Landschaft meist ausgeblendet obwohl er bedeutend sein kann. In der Art wie im Süsing „heißgeschlagene“ Bestände setzen diesen Kühlungseffekt aber stark herab. 

Und was den Klimaschutzeffekt von Holz angeht, muss man sagen, dass nur 12-20 % des Holzes dauerhaft verbaut und damit der Kohlenstoff für mehr als 30 Jahre gespeichert wird. Der Rest wird als Verpackungsmaterial und Ähnliches ziemlich bald wieder verbrannt, womit die Speicherwirkung hin ist. Solche „Turbobestände“ dürfen auch nur einen ziemlich geringen Vorrat haben, und werden mit geringem Durchmesser geernet, da sonst das Risiko zu hoch wird, das der Bestand einer Kalamität zum Opfer fällt. Viel besser sind da echte Mischbestände mit einem hohen Laubbaumanteil, die stabil sind und einen hohen Vorrat erlauben, der wie wiederholt erwähnt, sehr wichtig für die Klimaschutzwirkung des Waldes ist. 

Mit dem Aufwand, der hier für die Ansiedlung der nichtheimischen Baumarten betrieben wird, könnte man sehr schöne Mischbestände mit vielen Laubbäumen begründen!

Von den negativen Auswirkungen der starken Befahrung habe ich ja schon oft geschrieben, aber auch starke Auflichtungen wie hier, führen zu erhöhter Bodenaktivität und damit Freisetzung von im Boden gebundenem Kohlendioxid. 

Was im Süsing passiert ist exemplarisch für einen Trend in der Forstwirtschaft, der bundesweit seine Anhänger hat. Mit einem naturnahen Waldbau, der alle Leistungen des Waldes für die Gesellschaft umfassend berücksichtigt, hat das nichts zu tun. Die reine Rohstofferzeugung ist hier das Maß aller Dinge, alles andere drum rum dient nur als Feigenblatt der PR.

Selbstverständlich ist es wichtig und notwendig Wald in gewissem Umfang der natürlichen Entwicklung zu überlassen, wie es auch bei den Landesforsten geschieht. Wenn dann aber auf dem Rest der Fläche so intensiv gewirtschaftet wird, dass Ökosystembelange in der Realität keine Rolle mehr spielen, ist das sehr schlecht und sollte von der Politik unbedingt korrigiert werden!

Steinzeitliches Gräberfeld
Die Luhe
Kirsten hat mich im Fernsehen gesehen
Seltene Buchenpflanzung
Die Spätblühenden Traubenkirschen wurden abgeschnitten
Erschließung mit Rückegassen im 20 Meter Abstand
Die Aufarbeitung von Hackholz passt zu einer Bewirtschaftung, die kaum Rücksicht auf Ökosystembelange nimmt
Eichenwald wird von Fichtennaturverjüngung unterlaufen
Hordengatter mit Kiefern und Birken
Hier wurden Große Küstentannen gepflanzt
Die Eiche verjüngt sich natürlich im Zaun
Kleingatter mit Eichen
Stark aufgelichteter Fichtenbestand mit Naturverjüngung von Kiefern und gepflanzten Hemlock- und Küstentannen
Extrem starker Eingriff in Altbestand
Bei so starker Auflichtung ist es wahrscheinlich, dass die Altfichten dem nächsten Sturm zum Opfer fallen
Auf kleineren Flächen wurden auch Buchen gepflanzt
Bald wird der Harvester im Hintergrund auch die markierten Bäume fällen
So kann man einen alten Wald ganz schnell ruinieren
Gemulchte Wegränder, woanders werden seltene Bäume und Sträucher gepflanzt…
Großflächige Douglasienpflanzungen unter aufgelichteten Kiefern
Eigentlich könnten hier auch Eichen und Buchen wachsen…
Noch mehr Douglasien
Es gab auch hier eine Zeit, in der vorwiegend Laubbäume unter die Kiefern gepflanzt wurden…

Teile mit anderen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert