3.9.2021 Tag 171 Naturnahe Waldwirtschaft in der Oberförsterei Reiersdorf

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Bereits kurz nach 8 treffe ich mich am nächsten Morgen mit Dietrich Mehl an der Oberförsterei Reiersdorf. Oberförstereien in Brandenburg entsprechen den Forstämtern in anderen Bundesländern. Herr Mehl ist verantwortlich für über 22.000 ha Staatswaldfläche, die sich auf 15 Reviere verteilen. Hauptbaumart ist auch hier mit 67 % die Kiefer, aber es gibt mit 7,2 % auch einen nennenswerten Buchenwaldanteil, der sich durch sein hohes Durchschnittsalter von immerhin 120 Jahren auszeichnet. Wir sitzen bei Kaffee und Gebäck zusammen und bald kommt auch noch Sigrid Werner vom Uckermark Kurier dazu, die einen Artikel schreiben möchte. 

Bald fahren wir dann in einen großflächigen, sehr eindrucksvollen Buchenwald, wo mir Dietrich Mehl die Grundsätze der Buchenwaldbewirtschaftung in der Oberförsterei erläutert. Pro Einschlag werden hier nur sehr geringe Holzmengen von 25-30 Kubikmetern entnommen, was nicht einmal der Hälfte des sonst Üblichen entspricht! Dabei wird darauf geachtet, sehr viel Kronenholz liegen zu lassen, um einen nennenswerten Anteil an liegendem Totholz zu erreichen. Das das gut gelingt, zeigt der Stachelbart, ein seltener Pilz, der nur dort vorkommt, wo es ziemlich viel Totholz gibt. 

Herr Mehl ist sehr daran gelegen, die Buchenbestände dicht und holzreich zu halten, vor allem auch, da das wichtig für eine größere Widerstandsfähigkeit in Trockenjahren, wie 2018-2021 ist. Daher wurde in dieser Zeit in die alten Buchenbestände gar nicht eingegriffen. Der Vorrat ist mit 442 Erntefestmetern pro Hektar erheblich höher als sonst üblich. Das gilt auch für die Menge an Habitatbäumen. Der Betrieb ist schon seit 20 Jahren nach FSC zertifiziert, wo 10 Habitatbäume pro Hektar angestrebt werden. Diese Menge wird hier bei weitem übertroffen. Um die Befahrung und damit einhergehende Schäden an Boden und Bestand zu minimieren, und das Bestandesinnenklima nicht mehr als nötig durch solche „Austrocknungsschneisen“ zu stören, wird konsequent ein Rückegassenabstand von 40 Metern eingehalten. Teilweise wird das Holz mit dem Pferd vorgerückt, was lediglich Mehrkosten von 3-6 Euro/ Kubikmeter verursacht. Private Brennholzkunden dürfen grundsätzlich nur an den Waldwegen arbeiten. 

Nachdem wir Frau Werner am Forstamt abgesetzt haben, setzen wir unsere kleine Exkursion fort. Natürlich spielt der Umbau der Kiefernwälder hin zu Mischbeständen mit einem hohen Laubbaumanteil hier eine große Rolle. Bereits auf etwa 70 % der Fläche wurde dieser erfolgreich umgesetzt, was häufig gut durch Naturverjüngung gelingt, die nur partiell ergänzt wird, wobei heimische Arten absoluten Vorrang haben. So werden auch die sonst in Brandenburg so beliebten Roteichen gar nicht gepflanzt, da sie gegenüber heimischen Eichen viele ökologische Nachteile haben. Die Spätblühende Traubenkirsche kommt auch häufig in den Kiefernbeständen vor, ist nach der örtlichen Erfahrung hier aber kein Problem für die Waldentwicklung. Bekämpfung mit Chemie scheidet sowieso aus, und Abschneiden verstärkt das Vorkommen dieser nordamerikanischen Art sogar noch bedeutend.

Laut Herrn Mehl ist eine konsequente Bejagung sehr wichtig für den Waldumbau. Tatsächlich sind hier mittlerweile keine Zäune mehr nötig. Seit einigen Jahren gibt es auch wieder Wölfe, die das Muffelwild zum Verschwinden gebracht haben, aber ansonsten bisher offenbar wenig Auswirkungen auf die Wildbestände zeigen. 

In dem eiszeitlich geprägten Gebiet gibt es wie im Grumsin, zahlreiche Feuchtgebiete, die früher durch die Anlage von Gräben oft trocken gelegt wurden. Diese Entwicklung wird hier konsequent rückgängig gemacht, was nicht nur sehr positiv für die Artenvielfalt ist, sondern auch für den Wald eine nicht zu unterschätzende Kühlwirkung erzeugt. 

Zahlreiche seltene Arten wie Schreiadler, Schwarzstorch, Seeadler, Sumpfschildkröte und Weißrückenspecht kommen im Gebiet der Oberförsterei in nennenswertem Umfang vor. Selbstverständlich wird bei forstwirtschaftlichen Maßnahmen Rücksicht auf die Störungsempfindlichkeit vieler dieser Arten genommen. 

Mit dem Faulen Ort, wo Herr Mehl etwas zu tun hat, zeigt er mir noch ein ganz besonderes Juwel. Der etwa 80 Hektar große Kernbereich dieses Naturschutzgebietes besteht  im Wesentlichen aus bis zu 220 Jahre alten Buchen, die sich schon teilweise in der Zerfallsphase befinden. Daher ist der Vorrat von 200 Kubikmetern Totholz, der etwa der Hälfte der noch lebenden Holzmasse entspricht, sensationell hoch. Dementsprechend leben hier auch trotz der relativ kleinen Fläche zahlreiche Reliktarten, die sonst nur in richtigen Urwäldern vorkommen und auch die sonstige Biodiversität ist extrem hoch. Die kalkhaltigen Lehme bieten hervorragende Bedingungen für das Waldwachstum, daher gibt es hier auch Buchen mit etwa 1,80 Durchmesser, was man schön am Größenvergleich zu dem fast 1,90 Meter messendem Herrn Mehl sieht. Neben den Buchen sind aber auch noch beeindruckende Linden, Ahorne und Ulmen vorhanden. In den moorigen Quellbereichen wachsen auch Erlen, darunter ein kerzengerades Exemplar, dass 40 Meter Höhe erreicht! 

Etwa 12 % der Fläche der Oberförsterei werden nicht mehr forstwirtschaftlich genutzt, in der Realität ist das sogar noch mehr, da es sogenannte temporäre Altholzinseln gibt, die nach Abschluss der Zerfallsphase der alten Giganten wieder in die Bewirtschaftung genommen werden. 

Zum Vergleich: Im übrigen Landeswald Brandenburgs werden derzeit lediglich 4 % der Fläche nicht mehr genutzt, wenngleich diese Fläche ausgeweitet werden soll. 

Für das Bewirtschaftungskonzept im Buchenwald ist auch die Behandlung der jüngeren Bestände sehr wichtig. Hier werden nur maximal 15 qualitativ hervorragende, supervitale Einzelbäume ausgewählt und konsequent von Nachbarbäumen freigestellt. Daneben werden alle Mischbaumarten gefördert und Indivduen die sich irgendwann zu Habitatbäumen entwickeln können, ganz gezielt belassen. Andere gute Bäume werden auch nur in sehr geringem Umfang bei den Durchforstungen gefördert, wodurch einerseits zwar die Entwicklung einiger aus forstwirtschaftlicher Sicht vielversprechender Bäume gefördert, andererseits aber auch natürlichen Prozessen viel Raum gegeben und eine Homogenisierung vermieden wird. 

Dietrich Mehl denkt wie ich, dass insgesamt in Zukunft wesentlich weniger Holz als heute genutzt werden sollte, um den Wald stabiler in der Klimakrise zu halten und den Funktionen des Waldes abseits der Rohstoffversorgung mehr Raum zu geben. Die Forstwirtschaft könnte das auch  für die übrige Wirtschaft entscheidend wichtige Verlassen des ewigen Wachstumskurses einläuten, zu Gunsten einer wirklich umfassend nachhaltigen Waldbehandlung. 

Erst gegen 17 Uhr verabschieden wir uns am Forstamt, ich verlasse das winzige Reiersdorf und suche mir bald darauf ein Plätzchen für mein Freiluftlager im Kiefernwald wo noch Damwild vorbeiwechselt. 

Bei Dietrich Mehl in der Oberförsterei Reiersdorf
Kiernumbau durch Buchen-Naturverjüngung
Der Stachelbart braucht viel Totholz
Ausgedehnte, naturnahe Buchenbestände
Unzählige Habitatbäume
Viel Totholz
Beeindruckende Birke
Es wird hier viel Wiedervernässung betrieben
Umgang mit der Spätblühenden Traubenkirsche
Wald und Wasser
Biber und Wiedervernässung
Im Faulen Ort
Gigantische Buche
200 Kubikmeter Totholz/ Hektar!
Der Faule Ort ist schwer zugänglich
Beeindruckende Erle
Kleinflächiges Verjüngungsmosaik
Der Schreiadler braucht zum Brüten ungestörte, naturnahe Laubwälder


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7 Gedanken zu „3.9.2021 Tag 171 Naturnahe Waldwirtschaft in der Oberförsterei Reiersdorf

  • 3. September 2021 um 21:56
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    Da kann man nur den Hut ziehen vor Herrn Mehl und dem was er in seiner Oberförsterei für Wald und Natur leistet! Es gibt noch Hoffnung für die deutsche Waldwirtschaft.
    Viele Grüße von Joachim Kunz!

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  • 4. September 2021 um 18:22
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    Ja, dem kann man nur beipflichten!

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  • 4. September 2021 um 21:41
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    Wenn ich den Text lese und dazu die Bilder sehe, die das Wirken von Dietrich Mehl zeigen, dann geht mir das Herz auf. Ein guter, achtsam begangener Weg für den Wald, für alles, was lebt und damit für den Menschen!

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    • 5. September 2021 um 7:13
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      Ein sehr schöner Kommentar! Reiersdorf ist ein weiteres gutes Beispiel dafür, wie man in gar nicht mal so langer Zeit zu wirklich naturnahen, begeisternden Wäldern kommt.

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  • 6. September 2021 um 0:47
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    Wunderschön, vorbildlich, eine Inspiration für das eigene Wirken – Hut ab! – aber auch beneidenswert dieses Potential … ja das geht ins Herz, wie Herr Wilhelm so treffend anmerkt 🙂

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  • 6. September 2021 um 10:10
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    Ein sehr schöner Kommentar, Peter!

    Antwort
  • 6. September 2021 um 11:13
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    Die 3W-Frage: Was mich immer wieder bewegt, lieber Gerald, und was auch wir beide ja schon diskutiert haben, ist die Frage nach dem Zusammenhang Wald-Wild-Wölfe (bzw große Beutegreifer allgemein). Herr Mehl sagt ja das, was man oft hört in Gegenden, wo Wölfe (ähnlich auch bei Luchsen) wieder daheim sind: sie machen sich nicht so sehr bemerkbar (aber bei mir vor der Haustüre wächst der Wald trotzdem – auch ohne nennenswerte Jagd, dafür mit Luchs und Wolf). Deutschlandweit steigen seit Jahrzehnten die Jagdstrecken und der Wald wächst überwiegend lausig. …? Auch wildbio-logisch ist die Aussage von Herrn Mehl schon logisch, denn nicht Wölfe ‘regulieren’ demnach (idR!) ihre Beute sondern eher umgekehrt. Ich denke und sehe bei mir, Wölfe gehen – wenn sie tatsächlich Wahlmöglichkeit haben – va. dorthin, wo sie genug zu fressen finden und ihre Ruhe haben. Ist wenig Wild da, wie offenbar in Reiersdorf, werden sie nicht großen Aufwand betreiben, um dort die letzten Tiere zu erbeuten, sondern sich woanders Futter holen. Aber irgendwo, und zwar m.E. dort, wo die Beutekonzentration am höchsten ist, werden Wölfe Auswirkungen haben. Wahrscheinlich nicht primär durch pure Reduktion ihrer Beutetiere, sondern eher als Ursache einer Verhaltensänderung und damit auch Ernährungsänderung … und vielleicht auch Reproduktionsveränderung … ist das tatsächlich so? Kann ich mir gut vorstellen. Jedenfalls gibt es immer wieder Hinweise darauf, dass sich Wölfe eben doch auf die Waldverjüngung auswirken – vielleicht ja auch in Reiersdorf!? … Und schließlich: Was ist mit der seit Jahrzehnten verbreiteten Behauptung, die Jagd wäre nötig, um die (bisher) ausgerotteten Beutegreifer zu ersetzen? Stimmt das gar nicht?? (abgesehen davon, dass es ihr großflächig nicht ansatzweise gelingt) Warum wächst dann der Wald trotzdem nicht? … Nutzen wir unsere Wälder einfach viel zu intensiv? Du bist ja jetzt gerade viel in der neuen alten Wolfsheimat unterwegs, wie erlebst Du das dort, was könntest Du Neues beitragen zu dieser Diskussion um die für Deutschlands Wälder und Wildtiere so wichtige 3W-Frage?

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