10.9.2021 Tag 178 Naturwald Heilige Hallen

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Am nächsten Morgen bin ich bald wieder am Krüselinsee, wo die Biber ihre Spuren an den Buchen hinterlassen haben. Zunächst folge ich dem Ufer dieses Sees und dann geht es weiter am Dreetzsee entlang, der stellenweise von Flatterulmen gesäumt wird. 

Carwitz, oberhalb von Dreetzsee und Schmalem Luzin liegt traumhaft. Einige Leute baden bereits zu dieser frühen Stunde im See. Ich unterhalte mich eine  Zeit lang mit Frank aus Berlin, der hier mit einem alten Wohnmobil unterwegs ist. 

Der schmale Luzin liegt fjordartig zwischen bewaldeten Hängen. Sein glasklares Wasser ist einfach zu verlockend, daher lege ich erst mal eine Schwimmpause ein. Der See scheint recht beliebt zu sein, egal ob im Kajak, zu Fuß oder mit dem Fahrrad, einige Leute genießen bei dem tollen Sonnenwetter den schönen See. 

Ich bin jetzt endgültig nach Mecklenburg- Vorpommern gelangt, und kaufe in Feldberg ein. Zum ersten Mal seit langem gönne ich mir eine Eisschale, diesmal Schoko- Kokusnuss!

Auf einem Fahrradweg verlasse ich den Ort und werde von drei Urlaubern angesprochen, denen ich mein Projekt erläutere. 

Schließlich geht es aber wieder in den Wald. An einem Pfad liegen Findlinge aus Skandinavien aufgeschichtet, die die letzte Eiszeit hierher mitgebracht hat. 

Der Wald besteht überwiegend aus Buchen und wird offenbar seit langem im Schirmschlagverfahren genutzt, wobei alle alten Buchen gefällt werden, sobald die natürliche Verjüngung der neuen Generation sich etabliert hat. 

Ältere Bestände sind bereits ziemlich aufgelichtet. Normale Buchenwaldbewirtschaftung, wie sie vielerorts noch verbreitet ist… 

Eine Tafel zeigt den Beginn der Heiligen Hallen an, einem Waldgebiet, das auf Grund seiner Schönheit bereits vor 150 Jahren vom Großherzog Mecklenburgs aus der Nutzung genommen wurde. Auf knapp 25 Hektar befinden sich etwa 360-400 jährige Buchen, die bis zu 52 Meter hoch sind und teilweise knapp zwei Meter Durchmesser erreichen. Allerdings wurden bis in die 50’er Jahre abgestorbene Bäume aufgearbeitet und das Totholz entfernt. 1993 wurde der geschützte Bereich auf 65,9 Hektar erweitert. Das ist natürlich immer noch sehr wenig, ebenso wie beim Faulen Ort, den ich ja vor einer Wochen besucht hatte. Daher wurden diese beiden Wälder trotz ihrer beeindruckenden Naturausstattung auch nicht in das UNESCO- Welterbe „Alte Buchenwälder…“ mit aufgenommen. Die kleine Größe macht solche Gebiete  anfällig für negative Randeinflüsse wie schirmschlagartige Fällungen von Buchen oder einen kleinen Fichtenkahlschlag, den ich unmittelbar an der Grenze des geschützten Bereichs feststelle. Gerade in der Klimakrise ist es entscheidend für den Fortbestand solcher alter Buchenwälder, dass ihr extrem wichtiges, kühl- feuchtes Innenklima nicht durch Auflichtungen außerhalb gestört wird. Tatsächlich stellen sich auch die Heiligen Hallen, ebenso wie andere unbewiirtschaftete Buchenwälder als sehr vital und offenbar von der Dürre der letzten Jahre weitgehend unbetroffen dar. Das Naturschutzgebiet ist in ein größeres europäisches Schutzgebiet eingebettet (FFH). Man sollte meinen, dass gerade aufgrund der Nachbarschaft zu den Heiligen Hallen, eine schonende, dauerwaldartige Bewirtschaftung der Standard ist. Leider war das in der Vergangenheit nicht der Fall, was zu starken Protesten geführt hat. Hoffentlich wird die Buchenwaldbewirtschaftung hier in Zukunft tatsächlich umgestellt! 

Im Gebiet fallen natürlich die dicken, alten Bäume stark auf. Deren Vorrat, das ist wie gesagt, die gesamte Holzmasse, die auf einem Hektar wächst, liegt bei 600 Kubikmetern, etwa doppelt so viel wie dem deutschen Durchschnitt, hinzu kommen auch hier, wie im Faulen Ort etwa 200 Kubikmeter Totholz. Gerade dieses sticht mit seiner Dimension und dem Pilzreichtum besonders ins Auge. Von fast vermoderten, mulmigen, dicken Stämme bis zu gerade erst abgebrochenen Ästen liegt das Totholz in sehr unterschiedlichen Qualitäten vor, die allesamt Lebensgrundlage für unterschiedliche Pilz- und Insektenarten sind. 

Selbst seltene Pilzarten, wie die Stachelbärte, kommen hier in Massen vor!

Wenn man sieht, wieviel Totholz in einem unbewirtschaftetem Wald vorhanden ist, und weiß, dass es die Lebensgrundlage und Energiequelle für vielfältige Lebensgemeinschaften ist, die das Ökosystem Wald stabilisieren und über die wir „weniger wissen, als das Leben  in der Tiefsee“ so einer meiner Gesprächspartner auf dieser Wanderung, stellen sich viele Fragen:

Es ist kaum vorstellbar, dass die Entnahme von etwa 75% der Nettoprimärproduktion des Waldes durch die Holznutzung, keine Auswirkungen auf die Zersetzerketten hat, so mein eben zitierter Gesprächspartner. Zur Zeit ist viel die Rede von Kaskadennutzung des Holzes, womit gemeint ist, dass das Holz aus Gründen der Kohlenstoffspeicherung zum Klimaschutz möglichst langlebig verwendet werden soll, was natürlich sinnvoll ist. Aber am Ende der Kaskade steht dann immer die Verbrennung, wobei der Kohlenstoff als klimaschädliches Kohlendioxid wieder in die Atmosphäre abgegeben wird, und seine Energie, wie ausgeführt, den Zersetzerketten fehlt. Besser wäre es, so mein Gesprächspartner, weniger Holz nur in langlebigen Produkten zu verwenden, und deren Holz nach Ende seiner Nutzungszeit wieder in den Wald zu verbringen, wo es dann in den Kreislauf der Natur zurückkehrt. Tatsächlich wird bei der Holzzersetzung in der Natur auch Kohlendioxid freigesetzt, aber das ist ein viel langsamerer Prozess als die Verbrennung und ein nennenswerter Teil wird auch langfristig im Boden gespeichert. Tatsächlich ist im Boden die selbe Menge an Kohlenstoff fixiert, wie im Holz der Bäume. Aber dieser Bodenspeicher ist bei uns nur zur Hälfte gefüllt, wegen der ständigen Holzentnahme und vor allem auch aufgrund von Kahlschlägen, die eine besonders schnelle Freisetzung des Kohlenstoffs im Boden bewirken. 

Aus den genannten Gründen ist ein unbewirtschafteter Wald für den Klimaschutz durchaus attraktiv, was bei Modellen zum Ausgleich des Treibhausgasausstoßes berücksichtigt werden sollte. Aber auch im Wirtschaftswald sollte grundsätzlich der Holzvorrat stark aufgebaut werden, vor allem mit Laubbäumen, die pro Kubikmeter doppelt so viel Kohlenstoff speichern wie Nadelbäume und in der Regel stabiler sind, also das Risiko der schnellen Kohlenstoffreisetzung durch Sturm, Insekten oder Waldbrände viel geringer ist. Ausserdem muss es eine Selbstverständlichkeit werden, größere Totholzmengen im Wald zu belassen, das das geht habe ich ja beispielsweise bei Dietrich Mehl letzte Woche gesehen. 

Leider gibt es zur Zeit ja auch eine gegenläufige Bewegung, die sogar eine stärkere Holzverwendung fordert, gerade auch zur energetischen Nutzung. Natürlich ist Holz ein nachwachsender Rohstoff und tatsächlich wird bei mengennachhaltiger Nutzung, der verbrannte Kohlenstoff woanders wieder im Holz festgelegt. Dabei wird aber ausgeblendet, dass unsere Wälder durchaus einen großen Vorratsaufbau vertragen, der nur durch geringere Nutzung erreicht wird und natürlich gilt, dass es für das Klima egal ist, ob ÖL, Kohle oder Holz verbrannt wird. Alles setzt Kohlendioxid frei und ist damit klimaschädlich. 

Und die arme Holzindustrie, der der Rohstoff fehlt? Sie sollte es nicht als selbstverständlich ansehen, dass nachhaltig immer noch mehr Holz genutzt werden kann, wie in den letzten Jahrzehnten geschehen und sich auf die Herstellung langlebiger, wertvoller Produkte fokussieren. Wie die Erfahrung zeigt, können sich Industrien durchaus wandeln, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. 

Um den Raubbau nicht anderswo zu fördern, durch geringere Holznutzung bei uns, sind natürlich schärfere Importbestimmungen notwendig, aber die Politik kann die durchau erlassen…

Im Zusammenhang mit den Heiligen Hallen muss auch die Kühlwirkung dichter, vielfältiger, biomassereicher Wälder für das lokale Klima genannt werden, die unter anderem hier erforscht sind. Die Unterschiede zwischen stärker aufgelichteten Beständen und Wäldern wie den Heiligen Hallen sind gravierend, was sich in Zukunft vielleicht auch in der Förderung sogenannter „Ökosystemleistungen“ des Waldes niederschlagen wird. Das wäre sehr begrüßenswert, damit Waldeigentümer sich aus der Abhängigkeit von der Holzvermarktung befreien können und dafür belohnt werden, wenn Sie der Gesellschaft stabile, gesunde Wälder anbieten, die vielfältige Funktionen erfüllen, ob beim Klimaschutz, der Erholung oder der Erhaltung der Biodiversität. 

Wer sich einen Naturwald als undurchdringliches Dickicht vorstellt, liegt in den Heiligen Hallen, aber auch in anderen Naturwäldern falsch. Durch das schattige Kronendach schaffen es junge Bäume nur sporadisch hochzuwachsen, fast undurchdringliche Naturverjüngung wie sie im Wirtschaftswald die Regel ist, gibt es im Naturwald fast nie. 

Es sieht stark nach Gewitter aus, daher schlage ich schon recht früh außerhalb des Altwaldbereiches mein Tarp auf, es regnet dann aber doch nur wenige Tropfen. 

Krüselinsee
Lange Zeit laufe ich auf schönen Pfaden an den Seen entlang
Früher Morgen am See
Flatterulmen am Weg
Riesenschirmpilze
Begegnung in Carwitz
Am Langen Luzin
Langer Luzin
Glasklares Wasser
Blick zurück über den Langen Luzin
Eine nette Begegnung
Findlinge aus Skandinavien
Schirmschlagartig bewirtschaftete Wälder
Schon recht weit aufgelichtet
Alle Altbäume wurden über der Naturverjüngung gefällt
Heilige Hallen
Kunstvolles Spinnengeflecht
Heilige Hallen
Eindrucksvolle Riesen
Sehr viel Totholz
Vielfältiges Pilzleben
Schon stark zersetzt
Viele Höhlen und andere Mikrohabitate
Die Naturverjüngung ist nie so dicht wie im Wirtschaftswald
Ein toller Wald in eiszeitlicher Hügellandschaft
Kleiner Fichtenkahlschlag unmittelbar an der Grenze der heiligen Hallen
Die seltenen Stachelbärte sind hier häufig
Kesselmoore in den Senken

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2 Gedanken zu „10.9.2021 Tag 178 Naturwald Heilige Hallen

  • 11. September 2021 um 21:50
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    Danke für den sehr interessanten Bericht! Die Wichtigkeit, das kühl-feuchte Waldinnenklima gerade in Zeiten der Klimakrise zu erhalten, ist meiner Meinung nach bei vielen Försterinnen und Förstern noch nicht durchgedrungen.
    Viele Grüße!

    Antwort
    • 15. September 2021 um 21:41
      Permalink

      Ja, aber das ist tatsächlich sehr wichtig!

      Antwort

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